Ein Drittel davon könnte kurzfristig wiederbelebt werden / Hausbesetzung im Osten löst Debatte aus
(LVZ vom 02.09.2020)
Seit dem 21. August halten junge Leute ein Haus in der Leipziger Ludwigstraße 71 besetzt. In einem offenen Brief an den Eigentümer baten sie jüngst um Gespräche über die Zukunft des 1875 erbauten Gebäudes – und auch um dessen Kaufpreisvorstellungen. „Seien Sie doch ein Vorbild für andere Eigentümer*innen, die die Häuser weitestgehend verfallen lassen, um Profite raus zu schlagen: Lassen Sie sich auf Verhandlungen mit uns ein!“
Die Aktion im Leipziger Osten hat auch eine Debatte über die Leerstände im Stadtgebiet ausgelöst. Unbestreitbar ist, dass die Zahl der freien Quartiere durch die vielen Zuzüge im vergangenen Jahrzehnt rapide gesunken ist. Aber wie groß ist das Potenzial gegenwärtig noch?
Forscher haben 300 Häuser selbst besichtigt
Ganz exakt weiß das niemand. Eine jedoch sicher recht zuverlässige Schätzung hat vor einem Jahr das Forschungsunternehmen Quaestio aus Bonn abgeliefert. Im Auftrag des Baudezernates untersuchten die Wissenschaftler den hiesigen Häuserbestand auf sogenannte Zweckentfremdungen. Eines der Ergebnisse lautete, dass von den rund 335.000 Wohnungen in Leipzig im Jahr 2019 etwa 12.000 leer standen. Das wären 3,6 Prozent.
Die Forscher glichen dabei Daten aus dem Leipziger Gebäuderegister mit den Angaben aus dem Personenmelderegister ab. Bei fast der Hälfte aller Gebäude waren weniger Haushalte gemeldet als die Zahl der dortigen Wohnungen hergeben würde. Zur Kontrolle wurden 300 solcher Häuser in Augenschein genommen. Dabei fiel auf, dass in der Realität viel mehr Wohnungen genutzt sind als sich statistisch herleiten lässt. Die Erkenntnis floss dann in Hochrechnungen für den gesamten Häuserbestand in Leipzig ein.
4.000 Wohnungen fehlt nur eine Renovierung
Laut den Forschern teilt sich der Leerstand aktuell in etwa wie folgt auf: 5.000 Wohnungen sind fluktuationsbedingt ungenutzt, stehen also wegen Umzügen oder Sanierungsarbeiten nur für einen kurzen Zeitraum leer. Weiteren 4.000 Wohnungen wird ein „kurzfristiges Aktivierungspotenzial“ bescheinigt – dieser Teil ließe sich also zumeist schon nach größeren Renovierungen wieder vermieten. Und schließlich befänden sich noch 3.000 Wohnungen in komplett leeren oder ruinierten Leipziger Häusern, die erst nach umfassender Sanierung wieder legal genutzt werden könnten.
Diese Werte decken sich weitgehend mit den Angaben großer Vermieter. So beziffert die kommunale Wohnungsgesellschaft LWB ihren Leerstand zurzeit mit fast 4,1 Prozent, was rund 1.600 Wohnungen entspricht. Davon seien 600 wegen massiver Schäden gar nicht vermietbar. Andere gehörten zur normalen Fluktuationsreserve. Besonders hoch seien die Leerstände aber mangels Nachfrage in Grünau. Zeitnah will die LWB über 300 Wohnungen wieder in Nutzung bringen – vor allem durch die Sanierung eines leeren Blocks an der Gerberstraße.
Viele freie Quartiere gibt es bei Genossenschaften
Die sechs großen Leipziger Wohnungsgenossenschaften gaben ihre „marktaktiven“ Leerstände zuletzt mit insgesamt 2.600 Wohnungen an, was 5,4 Prozent entspricht. Hinzu kämen stets etwa 600 Einheiten, die fluktuationsbedingt für kurze Zeiträume nicht belegt sind. Aktuell setzt zum Beispiel die VLW ein großes Sanierungsprogramm um, durch das nach und nach 500 Wohnungen in komplett leeren Altbauten wieder nutzbar werden. Schon vor sieben Jahren hatte die Wogetra 150 Wohnungen in einem Block in Grünau stillgelegt – mangels Mietinteressenten sei deren Wiederbelebung bis heute nicht wirtschaftlich vertretbar, bedauert der Vorstand.
Jens Rometsch
Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 02.09.2020